Dienstag, 27. Dezember 2011

Kolonie Cichostow, Gem. Milanow, Woj. Lublin, Polen

Das Land der späteren Kolonie Cichostow (vormals im Kreis Radzyn) wurde 1892 neben dem Dorf Cichostow liegend, von dem Gutsbesitzer Stanislaus Rogowski an den Juden Rachman Ehrlich verkauft, welcher die Gründung der aus dem Wald gerodeten Gegend vornahm.

Bewohnt war sie von meist deutschstämmigen Familien, welche dort maximal knapp über 50 Jahre und vorwiegend von der Landwirtschaft, lebten. Der Ackerboden war sehr fruchtbar und die überschüssigen Erträge wurden auf dem Markt in Parczew verkauft.

Zitat Buch: „Die deutschen Siedlungen im Cholmer und Lubliner Lande, von Kurt Lück:
Im Bezirk Lublin waren die Kolonisten größtenteils Deutsche, die in Polen geboren und aus den Wojwodschaften Masowien oder Sandomir zugezogen sind. Neu aus dem Ausland Gekommene gibt es unter ihnen nicht“.

Aufbau der Kirchenorganisation :
# 199 Kolonie Cichostów, Gemeinde Milanow, mit 41 deutschen Wirtschaften.
Gründung 1892 durch Rodung von Wald. Die Einwanderung: die ersten kamen aus der Weichselniederung, dann auch Zuwanderung aus verschiedenen Gegenden Polens. Bald darauf mit einem Kantorat (Kantor Fr. Harter) und einem Bethaus versehen. Die zuständige evangelisch-augsburgische Kirche war in Lublin.

In der Gemeinschaft von SGGEE finden wir eine offen zugängliche Homepage, die Daten von Personen veröffentlicht. Die Dateneingabe erfolgt ehrenamtlich und ist lange noch nicht abgeschlossen. Hier finden wir die ersten Geburten in Cichostow ab 1894. Zur Zeiten der Verschleppung ab 1915 finden wir nur eine Geburt im Januar, dann für 1916 und 1917 keine Eingabe und erst Ende 1918 wieder zaghaft.

Das Gouvernement Samara liegt östlich der Wolga und grenzt u.a. im Osten an Ufa und Orenburg. U.a. in diese Kreise in Samara wurden unsere Verwandten interniert: Bugulma, Buguruslan, Busuluk, Nikolajewsk (heute Pugatschow). Auch die Menschen aus dem Cholmerland teilten das Schicksal der "Lubliner". Hier findet man später bei den Konfirmationen Angabe der Geburtsorte für die Jahrgänge 1915-1918 in Russland.
In der Nacht vom 15. auf den 16. Mai 1931 brannte das alte Bethaus ab. Am Platz der ehemaligen Kirche steht heute ein neu gebautes Haus.

Für viele war das Lubliner Land nur eine Durchgangsstation z.B. im Zug nach Wolhynien.  So sind um 1900 bereits viele Siedler nach Westpreußen, um 1907 nach Kurland, Brasilien und immer wieder die  USA und  Kanada ausgewandert. Dies zog andere Familienmitglieder hinterher.

In Kamien gab es eine Molkereigenossenschaft, in Niedrzwicaduza bei Lublin ab 1923 eine Evangelisch-Deutsche Spar- und Darlehenskasse, dem Verband in Lemberg unterstellt. Allerdings trauten die Menschen diesen Organen nicht und verbargen das Geld lieber zu Hause, was jeder im Ort wusste.

Seit 1937 dürften die deutschen Nationalsozialisten in Polen agiert haben und seit dem Einmarsch 1939 gab es noch mehr Zwistigkeiten zwischen Deutschstämmigen und Polen, auch wenn die Deutschstämmigen die polnische Staatsangehörigkeit hatten.
Das ehemalige Königsreich Polen war lange Zeit im Interessensgebiet seiner Nachbarn Preussen, Österreich und Russland, welche es im 18. Jahrhundert mehrmals unter sich aufteilten. Der polnische Adel vertrat keine Volks- sondern Eigeninteressen. Das später wieder erstarkte Nationalgefühl drückte sich u.a. in der Bromberger Blutnacht aus. Die polnische Bevölkerung wehrte sich gegen die Überfremdung und Fremdbestimmung ihres Landes. Bei dieser Bromberger Blutnacht kam auch ein Cousin meines Großvaters grausam zu Tode. Die historischen Akten hierzu sind schwer einsehbar.
Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen wurden sehr viele Höfe deutscher Siedler von polnischen Soldaten und Zivilisten geplündert. Im November 1939 wurde Eduard Matz aus Juliopol im Wald erschossen. 1940 bildeten die deutschen Siedler einen Selbstschutz. Ab dem 01.04.1940 wurde von der Wehrmacht ein Fürsorgekomitee eingerichtet, das für die Betreuung der Deutschstämmigen zuständig war. Filiale für Cichostow war in Lubartow. Mein Großvater war der letzte Bürgermeister in Cichostow und meine Oma erledigte die Schreibarbeiten.

Am 26.05.1940 wurde der Dorfschulze und Selbstschutzführer Julius Machel aus Juliopol in seiner Wohnung überfallen. Am 29.05.1940 wurde der Selbstschutzmann Michael Jäger aus der Kolonie Cichostow erschossen. Am Selbstschutzmann Adolf Orlowski wurde mehrmals vorbeigeschossen.

Die deutschen Volksschulen im Distrikt Lublin erhielten die Anweisung bis zum Beginn der Umsiedlung im Herbst 1940 die Kinder so weit zu fördern, dass sie dem Unterricht ihrer Altersstufe in einer reichsdeutschen Volksschule folgen könnten.

Jede Familie erhielt ein kleines Merkbuch, dass über alle Fragen informierte. Die Ansiedlung erfolgte Richtung Warthegau per Bahn über Lublin, Warschau, Gnesen. Die evangelisch augsburgische Kirche war lange Zeit das einzige Bindeglied der Deutschen in Polen. Zur Zeit der Umsiedlung kamen die Kirchenbücher vorübergehend nach Krakau und sollten nach Posen ins Reichsarchiv. Grundakten dürften im Archiv in Radzyn gelagert sein.

Cichostow hatte eine deutsche Grundschule bis zur 4. Klasse (die weiterführende Schule war in Milanow) und einen kleinen Laden, geführt von einem jüdischen Inhaber, der mit seiner Familie später verschleppt wurde. Ein Mann aus Cichostow war mit einer Jüdin verheiratet. Die deutschen Soldaten legten ihm eine Scheidung nahe, ansonsten könnte er nicht umsiedeln und müsste Pole bleiben. Er lehnte eine Scheidung ab. Seine Frau wurde deportiert und er hängte sich am Wegekreuz zur Colonie auf. Sein Name ist mir bekannt.
Die deutschen Siedler im Lubliner Land lebten meist in geschlossenen Dörfern. Hochzeitswerber (oft auch zu Pferd unterwegs) vermittelten die künftigen Eheleute durch Besuche in den Familien. Ab und an sprachen auch die Mütter für die Söhne bei der Auserwählten vor. Eine junge Dame sollte sich für solch einen Besuch umkleiden und sagte nur: Will er mich nicht im Schmutz, braucht er mich nicht im Putz. Die Söhne von Handwerkern ohne Land hatten es zu dieser Zeit besonders schwer, eine passende Ehefrau zu finden. Landbesitz hatte einen sehr sehr hohen Stellenwert.
Seit 1937 dürften die Nationalsozialisten in Polen agiert haben und seit dem Einmarsch 1939 der deutschen Soldaten nach Polen gab es noch mehr Zwistigkeiten zwischen Deutschen und Polen. Am 30.9.1939 wurde der polnische Soldat Wictor Bolcz nähe Cichostow getötet und ist auf dem evangelischen Friedhof begraben. Auch in Cichostow nahmen die Anfeindungen lebensgefährliche Situationen an, die auch mehrmals zu ernsthaften Bedrohungen bis zum Mord führten. 1940/1 wurden alle Einwohner von den Deutschen Behörden erfasst, als Deutsche wieder eingebürgert, sofern gewünscht, und ins Reich umgesiedelt. Während des Krieges gehörte Cichostow zum Gebiet "Weichsel-Ost" des Generalgouverments Polen.
Durch die Öffnung des Ostblockes ist es heute einfacher, Familienforschung in dieser Region auszuüben. Das Archiv in Lublin möchte nur in polnisch angeschrieben werden. Der Pfarrer in der ev. Kirche Lublin ist deutschsprachig und leider vollkommen überlastet. Dennoch erhält man gewissenhaft über ihn nach einer Wartezeit Urkunden zugestellt, am besten man fordert sie per Email an. Helfen kann einem dabei die offen zugängliche Datenbank von SGGEE für Lublin oder der Nachfolger der EWZ (Einwandererzentralstelle), das Bundesarchiv in Berlin.



Ein Teil meiner Familiengeschichte :

Meine Vorfahren sind u.a. die Familie Jetz, die lt. Einbürgerungsunterlagen seit 1899 dort lebten und südlich von Warschau aus dem Kreis Garwolin stammten. Sie waren sogenannte „Niedrunger“ niederdeutscher Herkunft. Johann Jetz war der Dorf-Müller und 1866 in Tatarczysko an der Weichsel geboren.
Beim Eintritt in seine Mühle war rechts vom Eingang eine gemütliche Holzeckbank mit rustikalem Eichentisch. Dort saßen z.B. die Urenkelkinder beim Besuch und fanden es gemütlich und familiär. Ehrfurchtsvoll staunten sie, wie die Flügel sich im Wind bewegten.

Die kleine Windmühle steht heute noch in der Nähe des ehemaligen Friedhofes, der 1915 entstand, versteckt über einen Feldweg Nähe Okalew, der mit Akazienbäumen bepflanzt ist.

Leider war Jetz ein Geizling, obwohl lt. Aussage einer Verwandten, der reichste Mann in der Kolonie. Johann ließ es sich nicht nehmen, bei Dorffesten den Musikanten eine Münze zuzuwerfen, damit man ihm einen Tusch spielte. Ganz schön eitel! Bei den Verkäufen seiner Landwirtschaftlichen Produkte auf dem Markt biss er als Test für Echtheit auf das Goldstück und nahm überhaupt nur Gold als Zahlungsmittel an. Dafür wurde ihm nachts sein im Garten vergrabenes Gold gestohlen und er war wieder arm. Zu Mama sagte man Mamre, zu Koffer - Wallis, zu Löwe - Leywe - zu Schuh - Schou. Sie kochten Fuschen - Stampfkartoffeln mit dunklem Mehl -, bildete daraus einen Ring und in die Mitte kam ausgelassenes Fett. Außerdem Piroggen - weisses Mehl mit Quark und Zucker - und geschmorte Klöße mit Kürbis, Satschirken u.m. Drei Töchter des alten Jetz waren verheiratete Hemmerling, Neumann und Sokolowski. Bei der Umsiedlung 1940 kamen sie alle in den Kreis Grätz bei Posen. Eine vierte  Tochter war eine verheiratete Krebs und starb zuvor.

Ebenso zu meinen Vorfahren gehörte die Familie Raunest mit dem größten Hof in Cichostow. Raunest kamen 1783 aus Bechtolsheim in Rheinhessen und gingen erst nach Galizien. Sie waren ev. ref. Eine weitere Familie war Heinrich/Henrich, die aus Bärenbach bei Kirn stammten und ebenfalls über Galizien nach Cichostow kamen. Sie waren ebenfalls ev. ref. und ihre Nationalität war Österreichisch, da Galzien zu dem damaligen Zeitpunkt zu Österreich gehörte. Sie sahen sich nie als Polen. 

Beim Ausbruch des 1. Weltkrieges wurden die Deutschen im gesamten Cholmer und Lubliner Land nach Russland (z.B. Ufa in Sibirien von 1915-1918 und länger) verschleppt. Viele sind nie mehr zurückgekehrt, andere wurden in der Verbannung geboren. Bei der Rückkehr fanden sie verwahrloste und zerstörte Dörfer wieder.

Nur der, der über genügend Land verfügte, war eine gute Partie. Deshalb wurde eine meiner Großtanten mit ihrem Cousin verheiratet (gegen ihren Willen), damit das Land in der Familie bleibt.
Die jüdische Familie aus Cichostow wurde deportiert. Weiterer Verbleib unbekannt. Ob sie erst in das Ghetto nach Lublin und später nach dem KZ Majdanek kamen ? Ein Mitglied dieser Familie war eine Freundin meiner Großmutter. Sie war auch 1990 noch nicht in der Lage darüber zu sprechen. Nach Ausbuch des 1. Weltkreiges 1915 war sie bei der Zwangsdeportation von Deutschen die in Polen lebten nach Russland, gebracht worden. Sie und ihre Mutter wurden von einer jüdischen Familie aufgenommen und versorgt, so sind sie dem sicheren Hungertod entkommen. Ihr Vater war zu dieser Zeit in Amerika und konnte erst wieder 1919 zurückkommen.
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Ein Alexander Schultz *20.3.1909 in Cichostow, illegitimer Sohn der Julianne Schultz, siedelte nach Kraschnitz im Kreis Militsch um und wurde als jüdischstämmig ins KZ Sachsenhausen interniert.

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Kriegsbegebenheiten, Zitate aus dem Forum der Wehrmacht:

Die Gendarmerie stellte 1933- 45 die Polizei auf dem Lande und in den Orten mit weniger als 2 000 Einwohnern. Sie gliederte sich in Gendamerie-Posten mit wenigen Männern und Gendamerie-Einzelposten, den typischen Dorfpolizisten.
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Auch im auswärtigen Einsatz (Kriegseinsatz) erfolgte die Verwendung der Gendamerie in kleinen Kommandos und Posten auf dem Lande. Teilweise waren sie sogenannten Gendamerie-Hauptmann-schaften zugeteilt. Bei einigen HSSPF bestanden Gendamerie-Einsatz-Kommandos. Von dieser “Gendamerie des Einzeldienstes” ist die ebenfalls zur Gendamerie zählende “Motorisierte Gendamerie” zu unterscheiden, bei der es sich um kasernierte Einheiten handelte. Der Aufbau der mot.Gend. begann durch Erlaß des RFSS u.ChdDtPol,O-Kdo. O (5) 1, Nr. 46/37 am 30.6.1937.
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Aufgestellt werden sollten 42 kleine Einheiten (Gendamerie-Bereitschaften), davon 10 einzelne Gend.-Züge (mit ) mit 1 Offz. und 36 Mann; 18 kleine Gend.Kompanien (mot) aus je 2 Zügen zu 1/36, 12 Gend.Kompanien (mot) zu 3 Zügen und 2 Gend.Abt zu 4 Zügen. Im Laufe des Krieges wurde auch die mot.Gend.ständig ausgebaut und gelangte in allen Kriegs- und besetzten Gebieten zum Einsatz.
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SS-Gend.Btl. 1 (mot)

24.06.1942 Mit Erlaß des RFSS u.ChdDtPol, O-Kdo I O (4), Nr. 50/42 v. 24.6.1942 wurde für einen vorübergehen-den Einsatz im Generalgouvernement ein motorisiertes Gendamerie-Bataillon mit Stab und drei Kom-panien in Warschau aufgestellt. Dieses mot.Gend.Btl wurde später in “1.Gend.Btl.(mot)” umbenannt.
(W.Regenberg, Panzerfahrzeuge der OrPo 36 – 45, S. 179)
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Gendarmerie Bataillion (mot)
03.12.1942
Im Rahmen einer Partisanenunternehmung um Wald zwischen
Lubartow und Parzew am 3.und 4.De-zember 1942 mit Teilen
des PolRgt 22, des I.SS-Gendarmerie-Bataillons, der Reiterab-
teilung III und der Gendarmerie Lubartow sollen 77 Partisanen
und 74Juden umgekommen sein.
(Stefan Klemp, Nicht ermittelt, Klartext-Verlag Essen, Jan.2005, S. 303)

http://www.sggee.org/deutsch/research_ger/parishes_ger/lublinrecords_ger/lublinsearchinstruct_ger.html







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