Samstag, 18. Juni 2016

Ancestry und My Heritage - lohnend für den deutschen Forscher ?




Seit einiger Zeit wird immer mehr die Frage von deutschen Familienforschern gestellt, ob sich die bekannten Plattformen Ancestry und My Heritage als Bezahlforen lohnen.

Die Frage sollte aber anders gestellt werden: was möchte ich mit wievielen Daten wie er- und verarbeiten?

Für den Forscher mit Forschungsgebiet ausschließlich in Deutschland ist die Antwort sowieso schon einmal für beide Foren: Nein.

Für den internationalen Forscher, der einen Schwerpunkt in Canada und den USA hat auf jeden Fall.

Bei Ancestry haben Personen mit guten Englischkenntnissen Vorteile, denn nicht alles ist klar zu verstehen. Der Preis ist ebenfalls unterschiedlich, allerdings kann mit dem Basispreis nicht viel erreicht werden.

Eine übersichtliche Erstellung des einen oder mehrerer Stammbäume ist auf jeden Fall gegeben. Bei der Anlage eines Stammbaumes ist es unbedingt ratsam, gleich die Hinweisfunktionen einzuschränken und den Stammbaum in der Datenschutzeinstellung erstmal auf Privat zu schalten und das verhindern der Suchfunktion mit einem Haken zu besetzen.
Warum ?
Alle Daten werden sonst für jeden sichtbar und fremdverwendet, einfach ungeprüft von anderen Anwendern kopiert. Dann findet man seine eigenen Daten auf einmal mit vielen Hinweisen wieder, allerdings sind die Anwender keineswegs am forschen Ihrer Linie interessiert, sondern oft reine Sammler. Ein großes Problem meiner Meinung nach. Fehler werden so 1000 mal weitergeführt. 

Forscher aus den USA haben keine Vorstellung über die Geographischen Verhältnisse in Europa und kaum geschichtlichen Hintergrund. So findet man sehr oft katastrophale Eingaben. 

Für Personen, mit denen man sich wirklich austauschen möchte, gibt es eine Einladung zum Stammbaum als Gast nur zur Information und ohne Änderungsmöglichkeit.

Da es bei den Amerikanern immer sehr schnell gehen muß, wurde inzwischen ein automatischer Vorschlag bei Personen eingerichtet, den man einfach übernehmen kann. Aber Vorsicht, diese Vorschläge sind oft falsch und nicht durch Dokumente unterlegt !! 

Die DNA Tests sind nicht so ausführlich und gründlich wie z.B. bei Igenea in der Schweiz, haben aber den Vorteil, dass sie mit den Stammbaum der anderen Matches verknüpft werden können und somit eine Verbindung zu erkennen sein kann. Allerdings sind die Stammbäume der Treffer meistens knapp und unvollständig. Antworten auf Anfragen gibt es oft nicht. Zudem kann man nicht erkennen, in welchen Segmenten sich die Verbindung befindet. Die Funktion "Gemeinsame Matches", die aufzeigen soll wer noch mit beiden verwandt ist, klappt nur bei hohen Resultaten, ansonsten gar nicht.
 

Bei My Heritage ist das Anlegen der Stammbäume und das Handling lange nicht so komfortabel. Es gibt keine Zusatzsuchmöglichkeiten. Hier ist Ancestry auf jeden Fall die Nummer 1.

My Heritage ist der Nachfolger vom kostenlosen"verwandt.de". Deshalb findet man hier eher noch mal deutsche Daten. My Heritage ist sehr unübersichtlich und die Matches meist nicht zu gebrauchen.  

Seien Sie sich darüber im klaren, dass mit ihren freigegebenen Daten andere Geld verdienen, Sie jedoch bezahlen !!

Die angebotene DNA Analyse soll mit den Resultaten auch den öffentlichen US Behörden zugänglich sein!!

In den USA wurde und wird von einer großen Organisation im riesen Stil Daten aus Kirchenbüchern und Archiven gekauft, eingespielt und an Sie weiterverkauft in Form von was auch immer. Wenn Sie ihre Daten freigeben, kommen sie automatisch geschaltet in einen riesen Pool.


Insofern ist mir das Bloggen inzwischen am liebsten. Es kostet nichts, wer meine Daten zu seinen eigenen fügen möchte, kann dies jederzeit kostenlos tun. Was ich nicht veröffentlichen möchte, bleibt zu Hause.

Meine weltweiten Forscherfreunde und ich wünschen Ihnen eine gute Entscheidung und viel Glück für Ihr Vorhaben.


Email: Spree_Kind@web.de






Sonntag, 12. Juni 2016

Flüchtlingsfamilie Heinrich 1945-1949 in Saarmund bei Potsdam

  





















Vorgeschichte:

Winter 1945: 

die bereits im Jahr 1941 aus dem Lubliner Raum in den Warthegau umgesiedelte deutsche Familie Heinrich packte erneut, wie auch alle anderen Deutschen im Dorf Schneefeld bei Grätz. 

Vor jedem Haus wurde angespannt, meist von den Frauen unter Hilfe ihrer polnischen Knechte und Mägde, mit denen man die letzten 4 Jahre oft gut ausgekommen war. Die Männer waren eingezogen worden und mein Großvater Andreas Heinrich stand in Frankreich.

Meine Oma Helene Heinrich hatte mit Anfang dreißig bereits 5 Kinder und versuchte in der kurzen Zeit die ihr verblieb, das Wichtigste zu organisieren: Kinder dick anziehen, Verpflegung für alle und dicke Federbetten, denn es war bitterkalt. Die Papiere lagen fein säuberlich auf dem Bett im Schlafzimmer und wurden dann in der Eile doch vergessen. Sie trug selbst einen Pelzmantel, Pelzmütze und Stiefel. 

Ihre ein paar Häuser weiter alleinlebende Mutter wollte parout nicht mit und weigerte sich bis zur letzten Minute aufzusteigen, blieb stur in Schneefeld zurück. Dafür übernahm Knecht Antek die Zügel und steuerte den Wagen gen Westen. Angespannt waren 2 Perde, eines links, eines rechts der Deichsel. 

Der Bürgermeister Herr Prüfer vorneweg und nach Reihe der Häuser zog jeder Wagen an. Oft haben in gleichen Fällen die Bürgermeister oder Pfarrer die Unterlagen der deutschen Orte oder die Kirchenbücher mitgenommen. Einiges ist heute im Landesarchiv Berlin oder im Standesamt I in Berlin zu finden – je nach Jahrgang. Vieles ging aber auch verloren und es würde mich nicht wundern, wenn hie und da solche Dinge noch unbekannt privat gelagert sind.
Es sollte gen Westen über Neutomischel/Nowy Tomysl in den Raum Zossen/Zerbst  im Reich gehen.

Nach geschätzten 30 km brach dem Leiterwagen der Familie Heinrich die Deichsel. Der treue Antek machte sich sofort an die Reparatur, aber der Dorftreck zog weiter. Als der Wagen wieder fahrbereit war, ging es dann alleine weiter. Übernachtet wurde immer mal wieder in Schulen und Scheunen. Zwischendrin wurden sie von einem deutschen Soldaten gefragt wo sie hin wollten. Oma gab versehentlich ein falsches Ziel an und man lenkte sie in eine andere Richtung. Antek hatte beim Näherkommen an die Grenze deutlich gemacht, dass er nicht mehr weiter fährt, weil es für ihn als Polen zu gefährlich war. Dem war ja auch so, aber Oma war deshalb verzweifelt. Eines Morgens war er mit dem Wagen und den Pferden verschwunden. Oma hatte ihn gebeten mit ihnen noch weiter zu fahren, er wollte das nicht weiter diskutieren. Das Gepäck war ja vorher bereits abgeladen worden und so saß man mit den Kindern und dem Gepäck ersteinmal fest.

Später erfuhren wir auf Umwegen, das dieser treue Antek im November 1945 mit eben diesem Wagen die UrGroßmutter und eine weitere Verwandte, die nach dem Krieg in Schneefeld noch 3 Monate auf dem Dachboden versteckt lagen, Richtung Grenze gefahren hat. Bei Angermünde wollte dann UrGroßmutter nicht mehr weiter. Niemand hat sie jemals wieder gesehen. Diese Frauen waren erst alle in dem Glauben, das man ihnen nichts tun würde. Schließlich waren diese deutschen Familien seit Generationen in Polen, sprachen außer Deutsch natürlich auch Polnisch.

An der Bahnstation halfen durchziehende deutsche Soldaten Oma nun das restliche Gepäck zu verpacken und zu beschriften, es sollte bis FFO und dort dann abgeholt werden. In FFO war das Gepäck natürlich nicht zu finden.

Eine ebenfalls auf der Flucht gewesene alleinstehende Frau mit Wagen und Pferd konnte nicht kutschieren und sie nahm die Familie auf ihrem Wagen mit bis Beelitz. Oma kutschierte. IBeelitz-Heilstätten war die Unterkunft vermutlich die alte Lungenklinik.

Es war immer noch tiefster Winter, die Familie saß einige Zeit fest. Ein Mädchen lieh Mutti ihren Schlitten. Als Flachlandskind konnte sie diesen aber gar nicht lenken und knallte fest an einen Baum und schlug hart mit dem Kopf an. Oma war irgendwann wieder unterwegs auf der Suche nach Essbarem für die Familie und unfaßbar, da traf sie zufällig die befreundete Familie Henkel aus Gildenau im Warthegau (Mann, Frau und die 15 jährige Tochter Klara). Diese Familie nahm Heinrichs dann später auf ihrem Wagen mit und lud sie in Saarmund ab. Sie selbst fuhren aber weiter. (war ihnen Saarmund zugeteilt worden ?)
So kam die Familie also nach Saarmund. Gleich am Ortseingang konnten sie eine Nacht in der Gärtnerei übernachten. Der Sohn der Gärtnersfamilie hatte sich gleich in die jüngste Heinrichtochter verliebt. Hildegard, genannt Hilla, war sehr zart und süß.

Dann hat Oma sich am nächsten Tag im Ortsbüro von Saarmund gemeldet. Der Bürgermeister nahm sich der Familie an und brachte sie privat unter bei der Familie Bernecke. Er suchte die Familie Bernecke selbst auf und sagte zur Frau Bernecke, das er eine alleinstehende ordentliche Frau und 3 Kinder gerne bei ihr einquartieren würde. Kurz darauf kam er mit einer Frau und 5 Kindern an. Frau Bernecke schlug die Hände über dem Kopf zusammen und sagte: Meine jüte, dat sind ja finfe. Herr Bernecke war Schmied und ein ruhiger, sympatischer Mann.
Frau Heinrich und Frau Bernecke hießen beide mit Vornamen Helene und verstanden sich dann gleich sehr gut. Sie gingen z.B. gemeinsam auf die weiter weg liegenden Rieselfelder mit einem Handwagen Äpfel und sonstiges Obst sammeln. Heinrichs bekamen ein Zimmer und die Kinder waren viel alleine, da Helene sehr fleißig war und überall mit anpackte. Die schulpflichtigen Kinder stellten fest, dass man in Saarmund viel weiter im Unterrichtsstoff war, als in ihrer deutschen Schule in Polen. Aber die Kinder waren nicht dumm und hatten ohne fremde Hilfe schnell aufgeholt. Zudem fehlten mindestens 6 Wochen Unterricht durch die Flucht.

Meine Mutter war die Älteste und auf der Flucht 9 1/2 Jahre alt. So mußte sie nun oft nach der Schule die Aufsicht für die kleineren 4 Geschwister übernehmen. Der Lehrer Wahlich, ein Nazi, gab ihr einmal eine sehr heftige Ohrfeige, wegen angeblich unentschuldigtem Fehlen, aber Helene Bernecke hatte sie selbst wegen Angina bereits entschuldigt.
Als meine Mutter Frau Bernecke die Sache mit der Ohrfeige sagte, ging Frau Bernecke zum Lehrer und hat ihn angeflucht. Das sah wohl lustig aus, denn sie war eine sehr kleine, aber resolute Frau und er wiederrum ein großer Mann. Im Mai 1945 wurde er abgeholt und ist seit dem wohl verschwunden. Seine Tochter Ingrid wurde jedoch Mamas Freundin und wohnte gegenüber zu Berneckes. Sein älterer Sohn hatte eine Freundin, die sich dann in einen Russen verliebte und zu Gerede im Ort führte. Mutti war nach dem Verschwinden des Herrn Wahlich oft dort im Hause zu Besuch.

Eine ältere Lehrerin, Frau Wiesenfeld, hatte selber Kinder. Wenn die Schüler frech waren, wurden sie unter dem langen Rock durch gelegt und verhauen. Eine andere, wohl sehr hübsche Lehrerin hat später einen Bauern geheiratet, der mit einem Bein aus dem Krieg kam.
Familie Bernecke hatte zwei Töchter. Eine - Gertrud - war eine verheiratete Koch, die in der Straße nach Rehbrücke wohnte, auf der linken Seite im letzen kleinen Einfamilenhaus. Sie hätte gerne meine Tante Hildegard als Schwiegertochter und Frau ihres Sohnes "Wölfchen" gesehen. Geworden ist daraus nichts, obwohl der Kontakt über Saarmund hinaus ging. Frau Koch verstarb zu früh im Alter von 52 Jahren an Krebs.

Die zweite Tochter Lucie war noch unverheiratet und lebte zu Hause. Eine von beiden brachte Mama das Stricken bei. Oma konnte nur spinnen und weben, ihre Vorfahren waren u.a. deutsche Tuchmacher und Gerber, die in Polen ihr Glück suchten.

Meine Mutter hatte als Kind blonde Locken und braune Augen, war zierlich, auch eine gute Schülerin. Dass sie aus einer Flüchtlingsfamilie kam, ließ man sie nicht spüren. U.a. wohl, weil ihre Mutter eine sehr saubere und sehr fleißige Frau war, die überall anpackte und mit 5 kleinen Kindern das Überleben meisterte. Alle Kinder waren wohlerzogen, was ebenfalls den Respekt untermauerte.


Und dann kamen die Russen nach Saarmund

Mutti musste Anfang Mai 1945 für Oma noch schnell das Mutterkreuz in Silber im Aschekasten versenken.

Berneckes und Heinrich's saßen mit einem polnischen Arbeiter im Keller, als ein Gewehr durch das Fenster blickte. Die Situation war kritisch, denn man vermutete überall noch deutsche Soldaten. Der polnische Arbeiter rief laut auf russisch, dass hier nur Frauen und Kinder säßen und wie ein Wunder wurde nicht geschossen.

Heinrichs hatten ein großes Zimmer im Haus, ein weiteres bekamen nun die Russen, getrennt durch eine Glastür, zur Einquartierung. Der einzige Panzer im Ort wurde direkt vor dem Haus geparkt. Die Russen erhielten Besuch von deutschen Mädchen aus der Umgebung und Frau Bernecke hatte berechtigte Angst um ihre Matratzen. Ein gemeinsames Leben auf so engem Raum - da bleiben gewisse Erlebnisse nicht aus. 
Die Soldaten tranken Dinge, auch wenn sie nicht wussten was in der Flasche war. Das war oft sehr gefährlich. Oder sie warfen Handgranaten in die Nuthe um Fische zu fangen. Die Kinder haben dann weitere tote Fische gefunden und nach Hause gebracht.

Ein Russe weinte und erzählte, dass die Deutschen seine Familie umbrachten und hat die kleinen Heinrich's auf den Schoss genommen.
Mädchen aus den Nachbarorten haben auf dem Panzer der immer auf der Straße stand, gesessen oder sich in ihm aufgehalten. Die Saarmunder Mädchen gingen woanders hin, um Kontakt mit Russen zu haben. Niemand wollte direkt gesehen werden. Deutsche junge Männer gab es kaum. Dies ist wohl überall zu dieser Zeit so gewesen. Im Westen gingen die jungen Damen bekannterweise zu den Amerikanern.

Dass die Soldaten sich in allen Bereichen an den Deutschen und ihrem Eigentum schadlos hielten war eine Folge der Handlungen deutscher Soldaten in Russland. Das wurde später von den russischen Soldaten den betroffenen Deutschen von Angesicht zu Angesicht oft genug erklärt. Russische Soldaten wollten meine Großmutter einmal mitnehmen. Alle 5 Kinder waren dabei und hängten sich schreiend an ihre Mutter, so daß man vom Mitnehmen absah. Ein andermal war sie über Nacht verschwunden und die Kinder hatten extreme Angst. Sie waren sich selbst überlassen. Oma kam am nächsten Morgen wieder und sagte, sie hätte für die Russen die Kartoffeln schälen müssen.

Von einer durchziehenden, flüchtenden deutschen Frau hatte meine Mutter eine große wunderschöne Puppe bekommen. Sie liebte sie und setzte sie auf das Bett. Jedesmal nach der Schule konnte sie kaum erwarten, nach Hause zur Puppe zu kommen. Noch niemals im Leben hatte sie solch ein Geschenk bekommen. Eines Tages war die Puppe weg. Mutti lief zu Oma und diese sagte scheinbar mitleidlos, dass sie die Puppe einer Russischen Soldatin mitgegeben und dafür Schuhe für ihre Schwester eingetauscht hätte. Mutti weinte bitterlich. 

Eines Tages kam eine Gruppe russischer Soldaten mit vielen Kühen als Beutegut auf dem Weg nach Osten vorbei und einer fragte die auf der Straße spielenden Kinder, ob sie eine Frau kennen, die Kühe melken könne, denn die Kühe brüllten sehr laut. Eine hatte besonders dicke Euter und konnte kaum auf dem heute noch vorhandenen Kopfsteinplaster laufen. 

Meine Mutter sagte sofort ja und lief schnell ins Haus. Oma machte sich dann sofort an das melken der Kühe. Und das unglaubliche wurde war: der Soldat überliess ihr die Kuh mit dem besonders dicken Euter, die die Familie dann Frieda nannte und in einem kleinen Hinterhaus untergebracht wurde. Sie gab 20 Liter Milch am Tag und sicherte fortan das Überleben der Familie. Mit der Milch konnte Oma all das eintauschen, was ihnen fehlte: Geschirr, Bettdecken, Kleidung und später sogar ein kleines Ferkel. Die Kinder liebten die Kuh und brachten ihr Grass zum fressen. Sie waren immer mit Tieren aufgewachsen und freuten sich unglaublich.
Alle Kinder des Ortes schwammen unbeaufsichtigt in der Nuthe, was nicht immer ungefährlich war. Heinrichs brachten sich selbst das Schwimmen bei, bauten alleine Köcher und fingen damit Krebse.

Die Kirche war in der unmittelbaren Nähe und gegenüber war eine Diakonissenstation. Dort war eine nette Schwester mit blauem Kleid und weißer gefalteten Haube. Hier konnte man sich aufhalten. Auch die Schule war nicht weit, in der Nähe lebten nette Damen, zu denen meine Mutter ebenfalls gehen konnte.

Eines Tages erhielt meine Oma Besuch von ihrer Tante Helene (Oma's Namensgeberin), der jüngeren Schwester ihrer in Polen gebliebenen Mutter. Deren Mann war ebenfalls im Krieg und sie mit den beiden Kindern geflüchtet. Sie wollte ihre Nichte dazu bewegen mit ihr zusammen wieder zurück nach Polen zu gehen: „das hier ist nicht Unseres“. Oma lehnte ab und sagte: dort werden sie böse zu uns sein. Tante Helene ging mit ihren beiden Kindern tatsächlich zurück und man hörte, dass es ihnen sehr schlecht gegangen sein soll. Ihre Tochter hatte rotes Haar und wurde als roter Teufel verschrieen. Eines Tages kam aus dem Nichts auch ihr Mann Adolf aus dem Krieg und suchte seine Familie bei Heinrichs. Der Schock war groß, als er hörte daß diese nach Polen zurück sind. Wir wissen leider nicht, wie es dieser Familie weiter ergangen ist.

Nach einem Jahr bei Bernecke im Haus an der Hauptstrasse zog die Familie in das Gutshaus in der „Kolonie 1“ am anderen Ende des Ortes ins Erdgeschoss mit einen großen Zimmer und Küche und mit einer Eckbank. Die Kuh Frieda erhielt angemessen einen Platz im vorhandenen Stall rechts hinter dem Gutshaus.

Essen gab es auf Marken, durch die vielen Kinder erhielt man überdurchschnittlich viel Zucker. Was sollte man damit? Brot war gefragt. Der Weg von der Kolonie zum Bäcker war nun wesentlich länger und die Kinder legten ihn alleine zurück, standen lange an und nach Erhalt des dampfenden warmen Brotes den Weg ohne es zu Kosten war eine Prüfung, der man nicht immer standhalten konnte. Als ihre Mutter einmal nicht da war, wurde tatsächlich von einem schrägen Typen Brot aus dem Haus geklaut. Er sagte noch: wat kickste denn so, Kleene, denkst de ik will euer Brot klaun? Und schwubs, war‘s dann doch weg. Deshalb war das Gewissen besonders schwer belastet, wenn unterwegs in das warme, dampfende Brotleib gebissen wurde.

Die Kolonie lag am Feld- und Waldrand. Mutti sammelte im Sommer alle dort wachsenden Pilzarten, Beeren gab es im kargen märkischen Sand nicht. Dafür Spargel. Mit großen Erstaunen sahen die Kinder die Köpfe aus dem Boden wachsen. Sie sammelten Ähren und stoppelten Kartoffeln, nahmen den Handkarren und sammelten Holz und Fallobst und trugen erheblich zum Überleben bei.
Oma ging einmal zum Tanzen in die Gaststätte "zur Stadt Leipziger", heute ein verwahrlostes Gebäude. Sie saß am Tisch mit anderen Landfrauen und wurde von einem ältern Herrn mit: „darf ich bitten“ aufgefordert. Leider wußte sie nicht was er damit meinte, diese Redewendung war ihr gänzlich unbekannt. Dieser Herr soll gesagt haben, wenn Opa nicht aus dem Krieg zurückkäme, er würde Oma auch gerne mit den 5 Kindern nehmen. Für Oma war das keine Option.

Mit 12 Jahren, 1947, stand Mutti auf dem Weg am Gutshaus und sah in 300 Metern Entfernung einen Mann kommen. Sie erkannte sofort ihren Vater, das letzte Mal hatte sie ihn vor 4 Jahren gesehen. Sie drehte sich um und rannte ins Haus und sagte zu ihre Mutter: ich glaube der Papa kommt. Oma war riesig erschrocken. Er war es wirklich. Seine Gefangenschaft hatte er im belgischen Bergwerk verbracht. 

Allen Kindern, besonders den jüngeren, war er total fremd. Das Verhältnis sollte nie ein Gutes werden. Zudem war er vorher ein selbstständiger Bauer und Anhänger des alten Systems. Nun sollte er die Nuthe säubern oder als Arbeiter auf einem Hof arbeiten. Später hat ein Bauer ihm seinen Hof angeboten, da sein eigener Sohn mit einem Bein aus dem Krieg kam. Opa hat abgelehnt.  Möglicherweise war dies der selbe Mann, der die o.g. junge Lehrerin geheiratet hat.
Mutti wurde manchmal Ohrenzeuge von heftigen Unterhaltungen ihrer Eltern. Opa war wohl eifersüchtig und fragte Oma immer wieder aus. Sie ließ ihn auflaufen. Er wußte, warum er diese speziellen Fragen stellte, war er doch selbst nie ein Heiliger. Mutti ist dann immer schnell abgehauen und wollte keine Streitereien hören. Diese waren den Kindern fremd.

Zufällig verschlug es eine Flüchtlingsfamilie aus einem Heimatort aus Polen nach Saarmund und diese wurden ebenfalls im Gutshaus untergebracht. Sie hatten Kontakt zu einer Nichte von Opa, die dann von einer freiwerdenen Siedlerstelle im Dorf Buchholz bei Serwest wusste. Die dortigen bisherigen Siedler waren in den Westen geflüchtet. Opa sah den Traum von der Selbstständigkeit kommen und bewarb sich. Zum Schrecken der Familie erhielt er den Zuschlag. Alle weinten, niemand wollte von Saarmund weg. Auch den Vorschlag in den Westen zu gehen, wollte meine Oma nie annehmen. Sie war von hin- und her, Flucht, Umziehen, Entwurzeln, bedient. 

Es half nichts, der Umzug wurde mit den Stimmen: 1 dafür und 6 dagegen besiegelt. Dies war beileibe kein guter Start. 




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