Sonntag, 13. November 2011

Kolonisation in den Niederungen

Rodearbeit in der Marienwerderschen Niederung begann, als Landmeister Hermann Balke seinen bürgerlichen Mitstreitern die Uferschwelle der Nogat (Oberfeld, Mareese) und dem Niedersachsen Dietrich von Depenow die 300 Hufen umfassende Tiefenau überließ. Von der Höhe aus sandten die dortigen Anwohner nach Ablauf des Hochwassers ihre Rinder-, Schwein- und Pferdeherden auf die Weide, ließen durch sie die fruchtbaren, mit allerlei Wurzeln durchsetzten Schlickböden der Uferschwellen zertreten und gestalteten somit die Rodearbeit einfacher, weniger zeitraubend.
Allmählich wandelte sich die Uferschwelle der Nogat. Die 51 Bürger der Stadt Marienwerder konnten nach Ablauf des Wassers in schmalen Ackerstreifen die Braugerste säen, die sie für ihre Malz- und Brauhäuser benötigten. Aber kein Bürger der Stadt baute dort sein Anwesen auf, selbst die Hirtenhäuser lagen noch auf dem östlichen Anhügel zur Höhe.
Einzelne Niederlassungen werden aber trotz aller Unwirtlichkeit der Niederung schon um das Jahr 1300 bestanden haben. Fischer, die es wagten, auf den Sandhügeln am Hohensee auch den Winter über auszuharren, oder Hirten, die auf den hohen Uferschwellen sich in festen Blockhäusern gegen die Unbilden des Winters und Frühjahrs wehrten, mögen seßhaft gewesen sein. Doch der Bauer fehlte.
Das Bedürfnis, für die zunehmende Volkszahl neues Siedlungsgebiet zu gewinnen führte zu dem Entschlusse, wenigstens die besten und den gewöhnlichen Hochwasserfluten nicht ausgesetzten Böden in der Niederung nutzbar zu machen. Die Einigung von Bischof und Kapitel über ihre Ansprüche an dem "neuen Werder", die 1334 erfolgte, machte die Gelegenheit zu Dorfgründungen frei. Wann sie erfolgten, ist nicht bestimmbar. Die Bewohner der Niederungsdörfer waren Deutsche.

Das Niederungsgebiet im Weichseldelta (zwischen Danzig und Elbing, ca. 50 km breit mit 1.700 qm Fläche) unterscheidet sich als Werder (südliche und höher gelegene Teil mit natürlicher Entwässerung) und Niederung (der nördliche und tiefer gelegene Teil, etwa um Tiegenhof, welche künstlich entwässert werden muß).

Die Niederungen an der ungeteilten Weichsel sind meist auf der einen Seite des Stromes Niederungsland und auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich hohe Ufer. Linksseitig erstreckt sich die Nessauer Niederung, die Getau-Grätzer Niederung und die Langenauer Niederung. Dann folgt die Culmer und gegenüber die Schwetzer Niederung, weiter nordwärtz von Sartowitz bis Neuenburg die Schwetz-Neuenburger Niederung (hochwasserfrei eingedeicht), die Münsterwalder Niederung und die unterhalb von Mewe beginnende und sich bis zum Weichseldelta erstreckende Falkenauer Niederung. Am rechten Ufer dehen sich die Thorner Niederung (22 km lang und eingedeicht), die Culmer AmtsNiederung (eingedeicht), die Culmer Stadtniederung (eingedeicht) und die Marienwerder Niederung (38 km lang und vollständig hochwasserfrei eingedeicht).

Der Boden der Weichselniedungen war sehr fruchtbar und lohnte die Mühe der Landwirte. In der Sommerzeit wurde das Gras meterhoch, das Getreide schoß üppig. Die künstliche Entwässerung geschah durch Windschöpfmühlen (den Blockwindmühlen ähnlich, und Dampfschöpfwerke. Diese Entwässerungsanlagen waren geschickt zwischen Weidebäumen versteckt oder an den hohen Dämmen gelegen und gaben der Landschaft ein eigenes Gepräge. Die Bauart dieser Mühlen waren noch dieselben, wie zu der Zeit der ersten Holländer, die den Niederungsboden besiedelten.

Das Vieh hatte nur selten einen ständigen Hirten und war im Sommer Tag und Nacht draußen auf dem Felde. Dort wurde auch gemolken. Das Niederungsgebiet ist waldarm und hatte meist nur einzelne Gehöfte, die auf Erhöhungen standen.

Außer den tiefen Wiesengeländen zu beiden Seiten der Weichselflüsse finden sich namhafte Niederungsgebiete im Rhedatal.

Bei jedem Eisgang und Hochwasser führt der Strom mächtige Erd- und Sandmassen mit. Diese Sinkstoffe lagern sich entweder an günstigen Stellen im Flußbett als Sandbänke ab, oder sie geben im Mündungsgebiet Veranlassung zur Stromspaltungen und Neubildungen. Die Sandbänke verändern in der Regel bei jedem Hochwasser ihre Lage, einzelne jedoch behaupten ihren Platz, bauen sich weiter aus und werden schließlich kleine Inseln - die Kämpen.

Kriegsgeschehen und schweren Kämpfe im 15. und 16. Jahrhundert entvölkerten die Niederungen. Nur noch Einzelbewohner, nicht mehr geschlossene Dorfschaften waren vorhanden. 1574 kamen holländische Friesen (Perbandt, Heimson, Pelke, Lamterson, Jochim Lamkeson und Jochim Clausson) zur Ansiedlung auf 13 Hufen in Kampangen und zogen weitere Bauern nach sich, die in Ellerwalde heimisch wurden. Mit ihnen kam eine bisher unbekannte Flureinteilung und ein neues Besitzrecht, die Zeitemphyteuse (Erbpacht auf 30-40 Jahre, in späteren Zeiten auf ewig) auf. Die Form der neuen Dörfer der Niederung blieb nicht mehr das mittelalterliche Angerdorf (Straßendorf mit erweitertem Platz für die Kirche, den Dorfteich und die gemeinschaftlichen Hirten- und sonstigen Häuser, vor dem Straße sich spaltete und hinter dem sie wieder zusammenlief) und der Dorfgemeinschaft mit Flurzwang.
Die Nordwestdeutschen brachten die Marschhufensiedlung mit, die ganz ihrem Charakter zu selbständiger Wirtschaftsform angepaßt war. Die "Gemeinschaft" mit ihrem Flurzwang erschien ihnen als äußeres Zeichen der bäuerlichen Abhängigkeit von den übrigen Dorfmitgliedern. Sie mieteten zwar in Gemeinschaft die betreffende Ortschaft, teilten dann aber die Flur in Längsstücke quer zur Straße auf, die von der Weichsel bis an die gegenüberliegende Grenze reichten, und setzten ihren Hof an das Kopfende des Streifens. So war ein jeder in einem zusammenhängenden Stücke für sich. Die Formel, die oft gebrauchte, "jeder für alle, alle für einen" bezog sich daher nur auf die Zinsleistung.
Die landsuchenden Westdeutschen (Holländer, Westfalen, Friesen, Holsteiner und Pommern-Mecklenburger) brachten anscheinend aus ihrer Heimat neben ihren Kenntnissen im Deichbau erhebliches bares Geld mit, so daß sie nicht auf die Zuweisung von lebendem Inventar durch das Amt angewiesen waren. Zumeist kamen sie als Flüchtlinge aus religiösen Gründen, mußten sich aber zur lutherischen Konfession nach preußischem Ritus bekennen, falls sie nicht ausgewiesen werden wollten. Im Putziger Kreis sollen verstärkt Holländer und Friesen 1599 neu angesiedelt worden sein und Dörfer gegründet haben.
Die Bezeichnung "Holländer" für die Bauern und nur für diese hat mit der Heimat, aus der sie kamen, nichts zu tun. Das Wort, so heißt es, müsse eigentlich "Hauländer" (Rodeländer) gedeutet werden, denn mit Holländer werden auch Pommern genannt, die gleiches Recht erhielten. Die unmittelbare Herkunft der neuen Einwanderer, der Bauern, ihrer Knechte, Mägde, Tagelöhner und der Handwerker läßt sich bis 1623 überhaupt nicht feststellen.
Die älteren Siedlungen Kanitzken, Kampangen, Ellerwalde, Schinkenberg und Stangendorf sind von nordwestdeutschen Bauern besiedelt, die später folgenden – z.B. Nebrau, Weichselburg, Russenau, Grabau und Neuhöfen – von Pommern.

Die große Siedlungswelle der Holländer ging zunächst von der Niederelbe über den Fläming bis zur Weichselniedrung. Dann setzte sie sich über die Porta prussica bis an die Weichsel bei Fordon in der Gegend von Graudenz, Schwetz, Kulm und Thorn fort, um schließlich bei Schulitz im Jahre 1594 das Posener Land zu erreichen. Insbesondere wurden die breiten Täler der Weichsel, Netze, Warthe, Obra und die kujawische Seenplatte besiedelt, ferner die waldigen Sumpfgebiete im Westen des Posener Landes, wozu insbesondere Obornik gehörte. Schließlich sind zu erwähnen die Waldgebiete von Wollstein und Neutomischel, die Urwälder und Ödländereien nördlich von Posen, im Kalischer Land und im Gostyniner Gebiet.

Bei den Holländern handelte es sich a) um aus den spanischen Niederlanden (Gebiet der heutigen Niederlande, Belgien und Luxemburg zur Zeit der spanischen Herrschaft, die durch Erbteilung 1556 an die spanische Linie Habsburgs fiel) geflohene Protestanten, die sich außer im Rheinland, Westphalen, Friesland auch in Schleswig-Holstein ansiedelten, b) um Niederländer aus den wasserreichen Gebieten, die auch wiederum in diesen siedelten (Netzetal, Weichselniederung und Danzig) und neben dem Einsatz als Deichbauern ihr Betätigungsfeld insbesondere in der Viehwirtschaft hatten.
Im 16.Jh. stieg das Preisniveau für landwirtschaftliche Erzeugnisse stark an, so dass es sich lohnte, nicht mehr nur für den eigenen Bedarf, sondern mehr und mehr für den Verkauf zu produzieren. Daran partizipierte der Adel durch Vergrößerung seiner Anbauflächen und der Bildung größerer Viehherden. Während es sich dabei zunächst um (Mast-) Ochsen handelte, wurde die Viehhaltung auf Anregung der Holländer bald auf Milchkühe umgestellt. Ebenfalls auf Anregung der Holländer entstand das noch heute für Schleswig-Holstein typische Bild der Koppellandschaften, da es rentabler war, größere Herden - sie reichten i.d.R. von 50 - 200 Stück Vieh - auch auf größeren zusammenhängenden Landflächen zu halten. Dies galt für Holländer, die auf adligen Gütern gepachtet hatten.
Die Verträge zwischen Adel und Holländer - sie reichten vom Maitag eines bis zum Maitag des folgenden Jahres - regelten genau die Rechte und Pflichten auf beiden Seiten. So stellte der Gutsherr Vieh, Hof, Stall, Koppeln und das Winterfutter, während der Holländer die erforderlichen Gerätschaften mitzubringen hatte und pro Kuh eine Jahrespacht von 7-8 Reichstaler zu zahlen hatte. Die Pacht war jeweils zu einem Drittel fällig bei Antritt (01.05.), zu Johanni (24.06.) und zu Martini (11.11.). Durch den Verkauf von Butter und Käse an Städte, Garnisonen, Hafen- und Residenzstädte bestritt ein Holländer seine Unkosten und brachte es so auch zu bescheidenem Reichtum, welcher es ihm ermöglichte, nach Verlauf einiger Jahre und Ablauf seines Vertrages eine größere Herde zu pachten.

Der Höhepunkt der Holländereien lag im 18. Jh., als diese sich in der langen Friedenszeit positiv entwickelten. Sie gingen mit Aufhebung der Leibeigenschaft Ende des 18./ Anfang des 19. Jh. zurück, als sowohl das benötigte Personal als auch die erforderlichen Flächen nicht mehr zur Verfügung standen. Es entstanden zunehmend Genossenschaftsmeiereien in Konkurrenz zu den Holländern. Auch begünstigte die Erfindung der Dampfmaschine und damit z.B. der Zentrifuge den Niedergang der Holländer, da diese es sich nicht erlauben konnten, diese anzuschaffen und mit ihnen umzuziehen und die Gutsherren kein Interesse am Erwerb der Maschinen zeigten.

Durch die häufigen Ortswechsel der Holländer gestaltet sich die Suche nach ihnen relativ schwierig. Es gibt die sogenannte Brügmann-Kartei (durch die Mormonen verfilmt) sowie die sogenannte Schäfer-Kartei im Landeskirchenarchiv Mecklenburg in Schwerin, welche vermutlich die Aufzeichnung der Sippenkanzlei Mecklenburgs enthält und bis ins 19. Jh. reicht. Beide Karteien enthalten viele Mecklenburger, Brügmann auch in geringem Maße Schleswig-Holsteiner.
Die ursprünglich holländischen Siedler haben sich in diesen Holländereien ein bleibendes Denkmal gestetzt. Ihnen schlossen sich bald auch deutsche Bauern aus der Neumark, Pommern und Schlesien an.





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